TK-Anbieter muss keine Technik zur Vorratsdatenspeicherung bereit halten

Das Verwaltungsgericht Berlin (VG Berlin) hat die Verpflichtung eines Telekommunikationsbetreibers zur Einrichtung von Vorkehrungen zur Vorratsdatenspeicherung vorläufig ausgesetzt.

Aufgrund der EG-Richtlinie 2006/24/EG sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet, gesetzliche Regelungen zu erlassen, nach denen die Speicherung von Telekommunikations-Verkehrsdaten bei Anbietern öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienstleistungen erfolgt. Diese Verpflichtung ist in Deutschland im Telekommunikationsgesetz (TKG) umgesetzt worden. Die hierfür notwendige Technik muss das Telekommunikationsunternehmen auf eigene Kosten anschaffen und betreiben. Ab dem 1. Januar 2009 ist die mangelnde oder unzureichende Umsetzung dieser Verpflichtung als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld bewehrt.

Die Antragstellerin, eine deutsche Tochter eines britischen Telekommunikationsnetzbetreibers, hatte mit ihrem Eilantrag geltend gemacht, die Verpflichtung, die Überwachungstechnik auf eigene Kosten anzuschaffen und zu betreiben, verletze sie in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit und sei daher verfassungswidrig. Sie müsse einmalige Kosten in Höhe von mindestens …….. Euro aufwenden, um die hierfür erforderlichen technischen Voraussetzungen zu schaffen. Überdies entstünden hierdurch laufende Betriebskosten in Höhe von ….. Euro jährlich. Dies sei insbesondere deshalb unangemessen, weil angesichts ihres Kundenkreises (in erster Linie große Unternehmen, Konzerne sowie Behörden des Bundes und der Länder) kaum Anfragen von Strafverfolgungsbehörden zu erwarten seien.

Mit ihrem Beschluss untersagte die 27. Kammer des Verwaltungsgerichts der Bundesnetzagentur vorläufig, gegenüber der Antragstellerin Maßnahmen wegen des Unterlassens der Vorhaltung von Anlagen zur Vorratdatenspeicherung einzuleiten.

Die Kammer hatte die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Kostentragungspflicht nach § 110 TKG bereits in einem anderen Fall (Beschluss der 27. Kammer des VG Berlin vom 02.07.2008 – VG 27 A 3.07) dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Die 27. Kammer des Verwaltungsgerichts sieht einzelne Vorschriften des Telekommunikationsgesetzes (TKG) für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar an. Die Kammer, die schon in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren im November 2007 (Beschluss der 27. Kammer des VG Berlin vom 8. November 2007 – VG 27 A 315. 07) der Beklagten untersagt hatte, gegen die Klägerin Maßnahmen wegen mangelnder Umsetzung der beschriebenen Verpflichtung zu ergreifen, hielt die entschädigungslose Heranziehung der Klägerin zur Übernahme der genuin hoheitlichen Aufgabe der Überwachung von Telekommunikation im Rahmen der Strafverfolgung für einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte der Klägerin auf freie Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG) bzw. auf Eigentum am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG). Die Klägerin als Anbieterin von Telekommunikationsdiensten weise keine besondere Sach- und Verantwortungsnähe zu den potentiell durch Telekommunikation vorbereiteten Straftaten auf. Auch sei die Überwachung eine dem Unternehmenszweck der Klägerin wesensfremde Aufgabe. Vielmehr sei es der Klägerin verfassungsrechtlich (Art. 10 Abs. 1 GG) aufgegeben, die Telekommunikation ihrer Kunden vertraulich und abhörsicher zu gestalten.

Diese Erwägungen in diesem Fall seien im Rahmen einer Folgenabwägung auch vorliegend zu berücksichtigen. Danach sei maßgeblich, dass die Antragstellerin keinen Ersatz für ihre Aufwendungen zur Anschaffung und zum Betrieb der Überwachungstechnik erlangen könne, falls das Bundesverfassungsgericht die Kostenregelung später für nichtig erkläre. Denn es gebe keine staatliche Haftung für legislatives Unrecht. Dieser mögliche Schaden für die Antragstellerin sowie die bei einer Aussetzung der Verpflichtung zur Einrichtung von Vorkehrungen zur Vorratsdatenspeicherung entstehende Überwachungslücke könne allerdings vermieden werden; denn die Bundesrepublik Deutschland könne sich verpflichten, die Aufwendungen der Antragstellerin für den Fall zu ersetzen, dass das Bundesverfassungsgericht die Kostenregelung für nichtig erkläre. Ob die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung selbst verfassungsgemäß sind, spielt nach ausdrücklichem Hinweis des Gerichts für die getroffene Entscheidung keine Rolle.

Gegen den Beschluss ist die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg möglich.

Da dieses Verfahren nur für die Antragstellerin wirkt, müssen andere von der Vorratsdatenspeicherung betroffene Telekommunikationsanbieter in eigenständigen Verfahren gegen die Regelungen vorgehen, um rechtliche Nachteile zu vermeiden.

Beschluss der 27. Kammer des Verwaltungsgericht Berlin vom 17. Oktober 2008 – VG 27 A 232.08 –

Quelle: Pressemitteilung Nr. 37/2008 des Verwaltungsgerichts Berlin vom 21.10.2008

© Goldberg Rechtsanwälte, Wuppertal-Solingen 2008
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