Eltern haften für ihre Kinder – und alle für den Shitstorm

Wer sich im Netz an einem „Sturm der Entrüstung im virtuellen Raum“ und damit an einem Shitstorm beteiligt, haftet für den gesamten Schaden des Opfers allein. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Betroffene den Shitstorm initiiert oder nur den Beitrag eines Anderen ungeprüft mit seinem Social-Media-Account geteilt hat.

Hintergrund

In seiner rechtskräftigen Entscheidung vom 26.04.2024 entschied der österreichische Oberste Gerichtshof (Az. 6Ob210/23k) über die Haftung bei Online-Postings.  

Der klagende Polizist wurde in einem Facebook-Eintrag des Beklagten fälschlicherweise der Misshandlung eines 82-jährigen Mannes beschuldigt. Die Quelle der Anschuldigung war eine dritte Person, die ein Video veröffentlichte, auf dem der Polizist zu sehen war, und zu einem Shitstorm gegen ihn aufrief. Tatsächlich war der Polizist bei einer Demonstration gegen Covid-19-Maßnahmen als Teil einer Absperrkette im Einsatz und nicht an der angeblichen Misshandlung beteiligt. Der Kläger und seine Familie litten massiv unter den Folgen des Shitstorms. Der Beklagte, der den Screenshot mit dem Gesicht des Polizisten auf Facebook ohne Überprüfung des Wahrheitsgehalts teilte, wurde vom Gericht in voller Höhe haftbar gemacht.

Beweiserleichterung

Der Oberste Gerichtshof stellte klar, dass das Opfer eines Shitstorms nicht verpflichtet ist, die Quelle jeder einzelnen Kränkung oder Gefühlsbeeinträchtigung durch den Shitstorm detailliert nachzuweisen. Es reicht aus, wenn der Kläger nachweisen kann, dass er Opfer eines Shitstorms war und dass der Beklagte sich in rechtswidriger und schuldhafter Weise daran beteiligt hat. Dabei ist es unerheblich, ob der Beklagte den Shitstorm initiiert hat oder lediglich ungeprüft Beiträge geteilt hat.

Volle Haftung der einzelnen Teilnehmer des Shitstorms

Die Entscheidung des Gerichts betont die Unteilbarkeit des Schadens bei einem Shitstorm und die daraus resultierende gesamtschuldnerische Haftung aller Beteiligten. Das bedeutet, dass das Opfer den vollständigen Schadenersatz von jedem einzelnen Teilnehmer des Shitstorms verlangen kann. Diese solidarische Haftung erleichtert es dem Opfer, seinen Anspruch durchzusetzen, da es nicht gezwungen ist, alle beteiligten Verursacher zu identifizieren und separat zu verklagen. Diese Hürde muss stattdessen der Beklagte nehmen und seine Regressansprüche im Innenverhältnis mit den anderen Teilnehmern des Shitstorms klären.

Fazit

Das Urteil fügt sich in die Linie der europäischen Gesetzgebung, wie dem Digital Service Act (DSA) vom 16.11.2022, und der Rechtsprechung ein, die Hassreden im Netz zunehmend streng ahnden. Es stärkt den Opferschutz und dient wegen der vergleichbaren Betroffenenrechte in Deutschland auch als wichtiger Präzedenzfall für die deutsche Rechtsprechung. Dieses Urteil zeigt eindrucksvoll, dass die Beteiligung an einem Shitstorm im Netz ernsthafte rechtliche Konsequenzen haben kann und setzt ein starkes Zeichen für den Schutz der Persönlichkeitsrechte im digitalen Raum.

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